In der Auferstehungskirche führte der KonzertChor Reutlingen am Samstagabend Mendelssohns oratorische Sinfonie „Lobgesang“ auf
REUTLINGEN. Zum ersten Mal trat der KonzertChor Reutlingen in der dortigen evangelischen Auferstehungskirche auf, nachdem der bisherige „Stammsitz“ Christuskirche zu einem diakonischen Zentrum umgebaut wird. Eigentlich ist die Stadtteilkirche aus dem Jahr 1956 zu klein für dieses Monumentalwerk: Es entstand, als Felix Mendelssohn Bartholdy vom Rat der Stadt Leipzig mit einem Festkonzert zum 400-jährigen Jubiläum des Buchdrucks beauftragt wurde in Form einer groß besetzten Chorkantate mit dem Titel „Lobgesang“, die dem König von Sachsen gewidmet wurde, nach ihrer Uraufführung 1840 Erfolg hatte, später als Mendelssohns Sinfonie Nr. 2 rubriziert wurde und im 20. Jahrhundert weitgehend in der Versenkung verschwand.
Der Reutlinger Dirigent Martin Künstner schätzt ihre Qualitäten und hat sie nun ein weiteres Mal aufgeführt, diesmal mit „seinem“ aus der Betzinger Sängerschaft heraus gegründeten KonzertChor Reutlingen und dem ebenfalls von ihm seit nunmehr zehn Jahren geleiteten, gleichfalls aus Liebhabern bestehenden Ebinger Kammerorchester, verstärkt durch Profimusiker (hauptsächlich Bläser) der Württembergischen Philharmonie Reutlingen.
In der Auferstehungskirche benötigt das Orchester die ganze Raumbreite von der Ecke ganz links bis in die Ecke ganz rechts; hinter ihnen (auch auf der Kanzel) steht der etwa 60-köpfige Chor, dessen Einsatz – mit den Solisten – dem Werk gemäß erst nach einer halben Stunde gefragt ist.
Den musikalischen Rahmen und Kern des „Lobgesangs“ bildet ein aufstrebendes Motiv auf den Text „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn“, angeführt durch die Posaunen. Die enorme Klangfülle des Orchesters macht die Bedeutung sinnfällig und wirkt fast zu kompakt; der Streicherklang wird durch die Wucht der Bläser fast erdrückt. Doch Martin Künstners Dirigat inspiriert zu Schwung und Musizierfreude.
Wie ein Fremdkörper aus einer späteren Zeit wirkt danach der weich schwingende und das Ohr mit sanftem Streicherklang besänftigende zweite Satz, eine Art frühe „valse triste“, die Mendelssohn wohl eher als Ausdruck der Sehnsucht nach Gott gemeint hat; umso überraschender die mit voller Wucht eingeworfenen Choralzeilen der Blechbläser, die eine harte Zwiesprache mit dem Streicherschwung führen. Wunderbar warm und beseelt versöhnt das „Adagio religioso“ die Gegensätze.
Danach erst beginnt die eigentliche Chorkantate und Festmusik mit dem großen, vorwiegend weiblich besetzten Chor und den bewährten Solisten Susan Eitrich (Sopran), Mirjam Kapelari (Mezzosopran) und Philipp Nicklaus (Tenor).
Nunmehr beeindrucken Chor und Orchester gemeinsam mit einem zu massiver Klanggewalt gesteigerten „Alles, was Odem hat“. Umso mehr bezaubern der lupenreine Solosopran von Susan Eitrich, der warme Mezzo von Mirjam Kapelari und die sprachmächtige Strahlkraft von Philipp Nicklaus, der nicht umsonst als gefragter Oratorien-Evangelist gilt; mit Mendelssohn bestärken sie das Ohr in Hoffnung und Gottvertrauen.
Alle Beteiligten nehmen die Heilsbotschaft offenbar ernst und setzen sie kontrastreich und überzeugend um; die „Stricke des Todes“ fesseln mit bezwingender Kraft, die drängende Frage „Hüter, ist die Nacht bald hin?“ betrifft auch die Not der Heutigen. Licht und Erlösung bringt Susan Eitrichs Sopranstimme mit „Die Nacht ist vergangen“ in reiner Höhe, beantwortet vom sieghaften Jubel aller Stimmen mitsamt Pauken und Blech.
Mit dem folgenden Dankchoral hätte Mendelssohn das Werk eigentlich abschließen können, doch es folgen weitere Lobgesänge: ein strahlendes Duett von Sopran und Tenor und die großen Chöre inklusive der traditionell fugierten Passagen, die den Choristen nochmals vollen Einsatz abverlangen, aber im dichten Gesamtklang kaum auszumachen sind. Den eigentlichen Schluss bildet Mendelssohns letzter Rückgriff auf das Thema „Alles, was Odem hat“ – und der lang anhaltende Beifall des Publikums.
Foto: Susanne Eckstein
Das Konzert wird am Sonntag (19. Oktober) um 20 Uhr in der Hl. Kreuz Kirche Albstadt-Ebingen wiederholt.
