Voller Festsaal bei Gudni Emilssons Konzert mit der Nationalen Philharmonie aus dem ukrainischen Lemberg
TÜBINGEN. Der Festsaal war so gut besetzt wie schon lange nicht mehr, als Gudni A. Emilsson am Donnerstagabend zu einem Heimspiel mit der Nationalen Philharmonie aus dem westukrainischen Lemberg (Lviv) vor sein Tübinger Publikum trat. Das Programm war mit Mendelssohns Violinkonzert und dem Konzertmeister Marko Komonko sowie Dvořáks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ ganz konventionell – bis auf die „Schlittenfahrt“, ein schlichtes Schmankerl von Leopold Mozart.
Dieses Stückchen jahreszeitlicher Programmmusik hat Charme und Witz, kann aber den Vorbehalt nicht ausräumen, dem Vater (1719 bis 1787) habe dieser Tick an Genialität gefehlt, mit der sein Sohn aus der volksliedhaften Petitesse mit einfachen Rhythmen und Akkorden vielleicht ein Juwel geschliffen hätte. Die netten Effekte der stark gekürzten und umgruppierten Suite – Tremendo für das Zittern einer jungen Dame, „Geläut“ von der Schellentrommel und „Peitschen“ von Streichern und anderer Percussion – genossen die ukrainischen Musiker als lockernde Aufwärmübung.
Denn danach ging es mit dem stolzen und doch so sanglichen Violinthema sportlich und energisch zur Sache. Ungewöhnlich lang hatte Felix Mendelssohn-Bartholdy ( 1809 bis 1847)an dem Werk für seinen Freund gearbeitet, den Gewandhaus-Konzertmeister Ferdinand David aus Leipzig – auch gemeinsam mit ihm – und es in jedem Sinn zum Klassiker für alle späteren Violinsolisten gefeilt und geschliffen: ein glitzernder und leuchtender Diamant an klassisch ausgewogener Eleganz und romantischer Anmut mit höchsten, aber nie zirzensischen Ansprüchen an die geigerische Virtuosität.
Schon sehr bald zeigten sich der besondere Zugriff und die virtuosen Stärken, die Marko Komonko dem Konzert angedeihen ließ, ganz einvernehmlich mit Gudni Emilsson, der mit sehr suggestiven Gesten und präziser Schlagtechnik ein höchst aufmerksames, formbares Orchester führen konnte: Kraft und Klarheit, eine auch im innig melodie-seligen Mittelsatz nie ins Schmalzige fallende Agogik, von starken Kontrasten in Tempo und Dynamik, Klang und Ausdruck geprägt, wie sie der Solist vorgab.
Seine Sicherheit in Griffen und Läufen, seine Klarheit und den besonders in hohen Lagen kraftvollen Ton ergänzte eine charakteristische Bogentechnik, die ein Faible für markante Staccati und einen atemberaubend präzisen und schnellen Springbogen (Spiccato) zeigte, nicht zuletzt in dem von Mendelssohn auch in den Proportionen seiner Kontraste und dem Dialog zwischen Orchester und Solist so genial gestalteten Finale. Für den rauschenden Beifall bedankte sich Marko Komonko mit einem ganz persönlichen Encore: Die Gitarren-„Alhambra“ von Francisco Tárrega hat er in ein bogentechnisch hypervirtuoses Furioso von Tremendo(!)-Arpeggien und Doppelgriffen umgeschrieben. Noch einmal Ovationen.
Mit voller Kraft setzten das Orchester und sein Dirigent nach der Pause zu einem weiteren klassischen Standard an. Antonín Dvořáks „Sinfonie aus der Neuen Welt“ hat man auch im Festsaal schon oft gehört, aber gewiss selten so energiegeladen, plastisch und kontrastreich agogisch, technisch in allen Belangen tadellos. Manche hätten sich für manche Passagen vielleicht einen süffigeren Sound wünschen mögen, aberdas war gar nicht gewollt: An manchen Stellen, auch einigen leisen und zarten wollte Gudni Emilsson sogar einen vibratofrei trockenen Ton.
Das Largo mit seinem betörenden Englischhorn-Thema gilt als Gipfel von Dvořáks melodischer Schönheit. An einprägsamer Prägnanz stehen die Ecksätze diesem Stück aber in nichts nach, und Emilsson arbeitete diese Konturen mit großer Eindringlichkeit heraus. Ob Dvořák aus den vermeintlich indianischen oder südstaatlich vom Negrospiritual geprägten diatonischen Harmonien, andersartigen Rhythmen und melodischen Figuren eine art neuen amerikanischen Nationalklang schaffen wollte, sei mal dahingestellt. Im traditionellen Scherzosatz ließ er es jedenfalls an tänzerischem Schwung nicht fehlen und kombinierte das geschmeidig mit den Tanzformen seiner eigenen böhmischen Tradition. Schön, wie das Orchester diese Elemente in allen Kontrasten zu einer Einheit formte.
Das Signal eines Aufbruchs ins Neue nimmt Dvořák am leisen, fragilen Ende seines ungeheuer dynamischen Finales wieder auf. Nicht nur dieser große Moment begeisterte die Zuhörer und riss sie zu stürmischem Beifall hin, für den es als Dank ein Orchesterstück ukrainischer Volksmusik gab.