Winni Victor brachte am Donnerstagabend Händel auf die Bühne des „historischen Saals“ der renovierten und erweiterten Pfullinger Klosterkirche
PFULLINGEN. Unerschrocken und ohne Rücksicht aufs kommerzielle Ergebnis macht Winni Victor weiter mit ihrer Reutlinger Kammeroper Stücke in kleinen Besetzungen aus unterschiedlichen Epochen, doch stets mit hohem künstlerischen Anspruch, hautnah vors kleine, doch interessierte Publikum gebracht. Diesmal widmet sie sich dem antiken Mythos von Acis, Galatea und Polyphem, enthalten in Ovids „Metamorphosen“ und vielfach vertont; Händel selbst hat den Stoff mehrfach bearbeitet. Hier nun ist das Stück in der Fassung von 1708 als „Serenata a tre“ zu erleben, wie sie damals anlässlich adliger Feste (Hochzeitsfeiern) in Italien aufgeführt wurde. Für die Reutlinger Kammeroper wurde sie leicht reduziert.
Die Handlung ist zwar einfach, aber schwierig auf die kleine Bühne zu bringen: Der Hirte Acis und der Riese Polyphem streiten um die Gunst der Meer-Nymphe Galatea. Der eifersüchtige Riese tötet den Hirten, doch Galatea verwandelt sein Blut mit Hilfe ihres göttlichen Vaters, des Meergottes, in eine Quelle und kann sich so wieder mit Acis vereinen.
Ein Steinwurf ist dank Styropor kein Problem, doch wie lässt sich die Verwandlung in Wasser umsetzen? Wie bei der „Acis“-Kinderoper voriges Jahr in Tübingen wird sie hier in blauen Schleiern symbolisiert, die auch die Nymphe zieren. Im Hintergrund erweitern drei Leitern den Aktionsraum nach oben. Warum allerdings der Hirte Acis als gehörnter Faun erscheint, ist unklar. Überhaupt hätte das Publikum eine gedruckte Werkeinführung und zumindest die Titel der Arien erwarten dürfen.
Die musikalische Umsetzung orientiert sich am historischen Vorbild. Das kleine Ensemble um Daniel Tepper, der die Leitung inne hat, musiziert so vorbildlich wie lebendig auf Violine, Blockflöte, Barockoboe, Cello und Cembalo, stets in enger Verbindung mit den drei Sängern. Die haben – in italienischer Sprache – eine gewaltige vokale und dramatische Aufgabe zu bewältigen und meistern sie bewundernswert: die Mezzosopranistin Felicitas Brunke als Galatea zwischen Florian Hartmann (Bass) als Polifemo und Bagdasar Khachikyan (Countertenor) als Aci.
Ihnen gelingt es nicht nur, die lange als „künstlich“ gescholtenen hochvirtuosen barocken Arien nahezu perfekt und gefühlvoll zu interpretieren, sondern das mythische Spiel in ein zeitloses Beziehungsdrama zu dritt zu verwandeln. Der wütende Riese Polifemo ist nicht der tumbe Polterer, sondern zeigt sich als verletzlicher Mensch; Florian Hartmanns Bass verleiht der Figur Tiefe und differenzierte emotionale Kontur. Der Countertenor von Bagdasar Khachikyan verbindet sich nicht nur edel mit dem sicher geführten Mezzosopran von Felicitas Brunke, sondern fasziniert auch durch Intensität und Prägnanz, die allerdings in der Höhe manchmal grell wirkt.
Das Spiel zu Dritt um Liebe, Eifersucht und Tod wird sichtbar in sprechenden Gesten von Nähe, Abwehr, Distanz und Dominanz; die elementare Kraft zeigt sich auch darin, dass die Darsteller barfuß agieren. Eine anrührende Regie-Idee: Am Ende legt sich der Mörder trauernd neben sein Opfer. Bei Ovid löst sich der Konflikt in der Verwandlung (Metamorphose), bei Händel in einem Schluss-Terzett, das – passend zu den Feier-Anlässen – den Triumph der Liebe markiert und die Hoffnung besingt. Großer Jubel, lang anhaltender Applaus.
Eine weitere Aufführung ist vorgesehen für den 28. November 2024 im Sudhaus Tübingen.