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„Die Saat…“ – High Noon im Gottesstaat

Im Tübinger „Museum“ und dem Reutlinger „Kamino“ läuft Mohammad Rasulofs deutsch-iranischer Oppositions-Thriller „Die Saat des Heiligen Feigenbaums“ an

TÜBINGEN / REUTLINGEN. Iman zögert. Der frisch berufene Ermittlungsrichter am Revolutionsgericht in Teheran (Missagh Zareh) soll ein Todesurteil wegen Gotteslästerung unterzeichnen, dessen Akte er nicht einmal kennt. Der befreundete Kollege erklärt ihm, dass es Imans Karriere wenig förderlich wäre, sich solchen Anordnungen zu verweigern. Ausgerechnet jetzt brechen im Gottesstaat der iranischen Mullahs Proteste und Unruhen aus, in die seine zwei heranwachsenden Töchter Rezvan und Sana (Mahsa Rostami und Setareh Maleki) auch hineingeraten.

Aus den Ereignissen des Jahres 2022 nach dem gewaltsamen Tod der jungen Kurdin Jina Amini im Polizeigewahrsam – sie hatte ihr Haar nicht vollständig unter dem Hidjab verborgen – hat der iranische Regisseur Mohammad Rasulof sein Drama „Die Saat des Heiligen Feigenbaums“ gemacht, das unter schwierigsten Bedingungen im Iran gedreht, in Hamburg produziert und in Cannes gefeiert wurde – und jetzt als deutscher Beitrag in den Oscar-Wettbewerb um den besten fremdsprachigen Film gehen soll.

Imans loyale und gleichfalls streng gläubige Frau Najmeh (Soheila Golestani) will helfen, als Rezvans Studienfreundin Sadaf (Niousha Akhshi) bei den blutigen Protesten eine Ladung Schrot ins Gesicht geschossen bekommt und zivile Staatsschützer sie aus der Klinik heraus verschleppen. Als der Gatte auch noch seine Dienstwaffe vermisst, gerät sie zwischen ihren Mann, der immer misstrauischer und verzweifelter, aber in seiner Regime-und Glaubenstreue auch immer fanatischer, paranoider und böser wird, und ihre Töchter, die immer offener gegen die familiär patriarchalische und die staatliche Unterdrückung aufbegehren.

Die Mutter mit ihren Töchtern. Fotos: Verleih

Die relativ simple Geschichte, dieser anscheinend überschaubare Familienkonflikt unter dem offenen und subtilen Terror einer schiitisch-islamischen Diktatur, er entwickelt sich in ganz unmerklich zunehmender Beklemmung und Bedrückung mit ungeheurer Wucht zu einer Tragödie von geradezu antikischer Schlichtheit und Größe. Auch die filmisch visuellen Mittel sind dabei einfach – und sicherlich auch den prekären Umständen der Dreharbeiten geschuldet. Ein paar Außenszenen wechseln mit Innenaufnahmen in gedämpftem Licht und gedeckten Farben.

Darin entfaltet sich ein leises und ruhig geschnittenes Kammerspiel von großartiger schauspielerischer Intensität und packendem Realismus. Nicht nur die Figuren der Eltern und der Töchter, auch die Nebenrollen sind ganz ausgezeichnet besetzt. Und diese Szenen werden mit authentischen Videosequenzen der damaligen Proteste („Frauen – Freiheit – Leben!“) und ihrer blutig brutalen Niederschlagung durch die Schergen des Mullah-Regimes ergänzt.

Das Finale allerdings, dieser Showdown im Stil von „High Noon“, dem „Dritten Mann“, von Sergio Leone oder Quentin Tarantino, ist weniger gelungen. Es ist ein eher fragwürdiger Stilbruch, selbst wenn man diese Verfolgungsjagd der beiden Autos und dann den auf Leben und Tod zugespitzen Kampf der Hauptakteure in menschenleeren Lehmhütten-Ruinen als allegorisch symbolhafte Erweiterung der ergreifend wirklichkeitsnahen Kerngeschichte betrachtet.

Für seine politisch-historische Sprengkraft und den Mut aller iranischen Beteiligten (Regisseur und Autor, Produzenten, Kameraleute und Schauspieler) ist „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ beim Frühjahrsfestival in Cannes mit Publikumsovationen gefeiert und zurecht mit einem Spezialpreis genau dafür bedacht worden, ging aber ansonsten leer aus, wie auch anderswo zumeist.

Dass Mohammad Rasulofs großartiger, mutiger, wichtiger und von den Schauspielern so eindrücklich dargestellter Film aber jetzt derart penetrant als Meisterwerk der Filmkunst gehypet wird, ist eigentlich nur peinlich. Die „gute Sache“, die Message, kann noch so ehrenwert sein: Filmische, künstlerische, handwerkliche Qualitäten sind etwas Anderes, auch wenn sie sich hier in Teilen durchaus überschneiden mögen. So ein Missverständnis hat dieser große Film nicht verdient.

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